"Hier ist die heftige Lebenswelt. Und die Mühseligkeit, sich hier anzupassen ist die Errungenschaft dessen, was mich, diese kleine zitternde Eitelkeit, entzückt. Ich möchte. So bin ich gemacht. Es ist meine eigene, besondere Art von Eitelkeit, das ist alles."
Jack London, The cruise of the Snark
Dies ist der Bericht der Abenteuerreise mit unserer Segelyacht Pulpo auf dem Weg von Berlin um die polnische Insel Wollin durch die Ostsee. Die Pulpo, ein schwedisches Segelboot ist ziemlich alt und etwas überholungsbedürftig. Trotzdem war dies ein lohnender und sehr lehrreicher Trip - einfach lesen.
Logbuch der S/Y Pulpo, TAG 6 Stepnica- Trzebiez- Stepnica
Die Wasserpumpe lässt uns keine Ruhe. Mittlerweile ist die Familie - Anna, Luis, Dion wieder in Stepnica eingtroffen, der eigentliche Törn über das Haff und Richtung Ostsee soll nun beginnen.
Die drei haben sich durch den Stettiner Hauptbahnhof bis zum Boot durchgeschlagen, obwohl die Bahnbeamten weder freundlich waren noch etwas anderes als polnisch sprachen. So sind nun also alle an Bord, und weiter geht die Reise.
Von Stepnica aus mündet die Oder in wenigen Km in das Stettiner Haff, welches auch als Oderhaff bezeichnet wird. Leider qualmt der Motor mal wieder, Pumpe falsch montiert. Es wäre halt nett gewesen von Konrad, die Pumpe nicht nur aus- sondern auch wieder einzubauen. Es wäre auch gut gewesen, einen richtigen, professionellen Techniker zu haben. Es wäre allerdings am allerbesten, es selbst zu können - ein Dieslmotor ist kein Hexenwerk, schreibt ein SVSt-Kamerad in den Chat.
Komischerweise macht mich diese erneute Panne gar nicht so unglücklich - Jack London und die früheren Segler haben es auch ohne Motor geschafft. Also, segeln wir noch ein bischen. Zwischen den zwei Leuchttümern an der Mündung zum Haff wird es nochmal sehr seicht. Wir laufen auf, aber zum Glück nur ein bischen, sodass wir mit dem Motor wieder freikommen. Wir segeln über die Südausläufer des Haffs von Trzebiez (Ziegenort) zurück nach Stepnica, zugegeben etwas langweilig, aber trotzdem schön. Für etwas Aufregung sorgt das Halbfinal-Spiel England gegen Dänemark.
Logbuch der S/Y Pulpo, 9. Juli 2021 TAG 7 Stepnica-Trzebiez
Das Ziel dieses Tages ist es eigentlich über das Haff zu segeln, an Ziegenort vorbei, aber wohin? Es wird schon bald dunkel, vor allem nicht nur wegen der Dämmerung, auch dunkle Sturmwolken ziehen auf, also: Zurück in den sicheren Hafen von Trzebiez (Ziegenort). Die Aussicht über das Haff von hier ist schon ziemlich gigantisch. Mit unseren SVSt-Nachbarn Ursula & Jürgen ein netter Schnack, dann gemütliches Abendbrot mit der Familie bei Regen, Donner & Blitz unter Deck.
Nicht schön, die Vorstellung, weit draußen zu sein.
TAG 7a Trzebiez- Wapnica
"Hier ist die heftige Lebenswelt. Und die Mühseligkeit, sich hier anzupassen ist die Errungenschaft dessen, was mich, diese kleine zitternde Eitelkeit, entzückt. Ich möchte. So bin ich gemacht. Es ist meine eigene, besondere Art von Eitelkeit, das ist alles."
Jack London, The Cruise of the Snark
Am nächsten Nachmittag geht es weiter aus dem Hafen von Trzebiez durch die ziemlich enge Fahrrinne hinaus auf das Haff. Wir versuchen die Segel zu setzen und steuern zwei Meter aus der Fahrrine heraus, was uns den Boden unter uns spüren lässt. Wir sind mal wieder etwas aufgelaufen, und wieder kommen wir durch Krängung, die ganze Mannschaft auf einer Seite und Motor wieder hinaus. Das Haff ist allgemein schon ziemlich flach, oft auch weit hinein unter zwei Meter. Dann wird gesegelt, was das Zeug hält, zunächst bei Windstärke drei, dann bei zunehmenden und stürmischen Winden und ziemlichen Wogen. So überqueren 2/3 des Haffs, die Kinder hören lustig laute Musik in der Kabine, alle sind vergnügt, obwohl mir der Sturm etwas unbehaglich erscheint.
Dann verziehen sich die Gewitterwolken, der Wind schläft ein und wir fahren mit dem Motor, dessen Kühlung nach vielen Mühen und mehreren Fahrten in die Stettiner Werkstatt endlich wieder verläßlich zu funktionieren scheint, den Bogen um Lubin und checken im Hafen vom Wapnica ein.
Nach dieser anstrengenden Fahrt gönnen wir uns 1 Tag am Ostseestrand von Międzyzdroj, nur 15 Minuten Fahrt mit dem günstigen Taxi. Außerdem gibt es oben in Lubin über der Steilküste ein sehr schön gelegenes Restaurant mit Aussichtsplattform und Ausgrabungsstätten. Vorteile der Marina Wapnica sind die Gemeinschaftsküche und die Waschmaschine. Das Elfmeterschießen Italien gegen England ist sehr aufregend und dramatisch.
Die hügeligen Wälder ringsum laden ein zum Wandern und Spazierengehen entlang der Steilküste. Währenddessen warte ich auf eine Nachricht von Anna aus Deutschland.
Logbuch der S/Y Pulpo, 12. Juli 2021 TAG 8 Wapnica- Świnoujście
Wir verlassen den Hafen und passieren die Steilküste und dem Lubiner Kirchturm in einem großen Bogen bei ziemlicher Windstille. Wir müssen aufpassen, die Betonnung im Auge behalten, da das Oderhaff für Boote unseres Tiefgangs sehr enge Fahrrinnen bietet und wir nicht wieder auflaufen mögen. Ständig checken wir auf dem Bootsnavi die Tiefenlinien. Die Einfahrt des östlichsten Haffhafens Wollin erscheint uns ebenfalls sehr lang und schmal, also setzen wir wir bei etwas auffrischenden Wind die Segel und fahren gen Swinemünde (Świnoujście). Diese Entscheidung bedeutet in der Konsequenz, dass wir bei Swinemünde auf der offenen Ostsee landen, nicht etwa im
geschützten Bodden.
Es folgt eine Kanalfahrt, wobei Wind und Wellen im großen Hafen von Swinemünde ziemlich auffrischen, Motor und Kühlsystem arbeiten weiterhin zuverlässig. Wir müssen einige Manöver fahren, als zum Beispiel fast gleichzeitig sich zwei Fähren von rechts nach links nähern. Das Stadtgebiet von Swinemünde umfasst einige Inseln, von denen wir die östliche Insel Wollin nun einmal umrunden werden.
Wir errreichen den ehemaligen Bauhafen, heute eine große Marina mit Wohnmobilstellplätzen. Gegenüber an der Kaimauer des großen Hafens wird ein Kohlefrachter aus Monrovia gelöscht, tage- und nächtelang.
Literarisches Intermezzo: Die Fahrt der „Snark“ von Jack London.
Beim Hafenmeister finde ich ein Buch von dem amerikanischen Schriftsteller Jack London, der seine Reise von Kalifornien durch die Südsee mit einer 45´-Segelyacht beschreibt. Ich tausche dieses Buch einen Tag später gegen das aus- und vorgelesene "Harry Potter und der Gefangene von Askaban". Es liefert mir Inspiration und einige schöne Zitate, passend zur ersten Ostseedurchquerung. Das charmante an der verrückten Unternehmung, Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts einen Segeltörn über den stillen Ozean zu unternehmen, ist zum einen die hemdsärmelige Unbedarftheit, ohne jegliche Erfahrung, mit schnell mal etwas angelernetem Navigationswissen von der Frisco Bay nach Hawai zu segeln und wirklich dort anzukommen. Zum anderen die katastrophalen technischen Mängel der Yacht - kaputter Motor, defekte Pumpen, ständig läuft das Boot voll und muss leergepumpt werden - man glaubt es kaum, dass so viel schiefgehen kann und man trotzdem so viel Vergügen bei dieser Fahrt entwickelt.
Jack London kommt ebenfalls in brenzlige Situationen mit seinem Schiff. Er startet auch ohne jegliche Vorerfahrunng oder kompetente Crewmitglieder (wie ich). Auf seinem Boot sollte mehr funktionieren als es tut (wie bei uns). Aber es kommt bei Beginn der Reise direkt aus der Werft. Er schildert mit einer Mischung aus Amüsiertheit und Fassungslosigkeit, wie – vor allem unter Deck – alles entweder nur halb oder gar nicht funktioniert.
Schließlich überquert London mit seiner Frau und einem Freund die Südsee und landet bei Neuseeland, um von einem Südseekrankheit heimgesucht zu werden. Den Rest lest bitte selbst. Story of Life…
- Ende des literarischen Intermezzos -
Der Yachthafen Swinemünde hat Platz für etwa 200 Boote und ist damit größer als die bisherigen Marinas am Haff. Durch den Wald ist man zu Fuss in 20 min am Ostseestrand. Dort gibt es Kitesurfer, die den Wellen nachjagen und eine coole Surferbar. Es geht wesentlich entspannten und ruhiger zu am Strand vom zwanzig Kilometer östlich gelegenen Miesdroy, welches eher sehr geballte Ballermann-Energie verströmt.