
Segler-Verein Stössensee e.V.

Pulpo
Seereise der Pulpo '21 - Tag 1
10.04.2025"Being alive, I want to see, and all of the world is a bigger thing to see than one small town or valley"
Jack London, The cruise of the Snark
Dies ist der Bericht der Abenteuerreise mit unserer Segelyacht Pulpo auf dem Weg von Berlin um die polnische Insel Wollin durch die Ostsee. Die Pulpo, ein schwedisches Segelboot ist ziemlich alt und etwas überholungsbedürftig. Trotzdem war dies ein lohnender und sehr lehrreicher Trip - einfach lesen.
Logbuch der S/Y Pulpo, 22. Juni 2021 - TAG 1 Stößensee-Liepe
Es ist gut, einen Plan zu haben.
Der Plan war, um 7h in die Spandauer Schleuse und dann abends bis zur Marina Oderberg fahren. Am nächsten Tag dann weiter zum akademischen Yachtclub AZS in Stettin. So hatte es uns ein Kamerad aus dem SVSt empfohlen. War aber für uns leider nicht ganz zu schaffen, >2h Wartezeit an der Schleuse Lehnitz - und weil unser Motor nun einmal so ist wie er ist. Meinte auch die Wirtin der Marina Oderberg am nächsten Tag. Außerdem hatten wir ab Eberswalde einen kaum zu überholenden Schubverband vor uns.
Um kurz nach 6 verließen wir, Daniel und Luis, Vater/Sohn, zu zweit den Stößensee Richtung Norden. Dabei grüßten wir ehrenerbietig die Pichelsdorfer Spundwand, wo unser letztjähriges Abenteuer endete, hoffnungsvoll, diesmal das Meer zu erreichen. Die Fahrt war die ersten 40-50 km ziemlich angenehm, trotz morgendlich kühlem und regnerischem Wetter. Dieses sollte aber in den nächsten Wochen die Ausnahme bleiben.
Das Warten in Lehnitz war etwas anstrengend, wir hätten kochen sollten, hofften aber auf ein baldiges Durchkommen, kamen natürlich unweigerlich wie bei jedem längerem Stau mit den anderen Sportfahrern ins Gespräch und landeten später hinter- und nebeneinander in der berühmt-berüchtigten Schleuse.
Danach wurde die Kanalfahrt ziemlich eintönig und schließlich etwas brenzlig, unser erstes Abenteuer mit einem polnischen Schubverband:
Das Boot vor uns war offensichtlich langsamer, wir kamen heran, aber unser erster Überholvorgang war nicht von Erfolg gekrönt; im Fahrwasser wenn man herankommt lässt sich zunächst schwer lenken und man verliert auch an Schub. Als wir schließlich zu 2/3 vorbei sind, hupen sie, weil sich ein anderer Schubverband in der Gegenrichtung nähert. Das Hupen und die dazugehörige Geste sollte wahrscheinlich bedeutetn "Fahrt mal schneller!"
Sehr witzig, haha :)
Mehr als Vollgas geht nicht! Das entgegenkommende Schiff ist wohl noch ziemlich weit weg, trotzdem bremsen wir mit Rückwärtsgang und scheren wieder hinter dem Frachtschiff ein und fuhren in dessen unsicherem Fahrwasser. Wir hätten in Marienwerder einfach pausieren sollen, denn was jetzt kommt ist etwas unangenehm: Nachdem wir ein paar Minuten fahren, die mir ziemlich lang vorkommen, werde ich langsam ungeduldig und schwenke ein Stück nach links um zu gucken, wann das entgegenkommende Schiff uns erreicht. Gleichzeitig ärgere ich mich, dass ich nicht das Überholmanöver durchgezogen habe.
Es ist sehr nervig und anstrengend hinter dem Frachtschiff, welches die Geschwindigkeit nun noch einmal drosselt um dem entgegenkommdenen Schubverband auszuweichen. Natürlich kommt das Schiff in dem Moment, als ich links rüberschwenke und das ohnehin schon schwierige Manövrieren im Fahrwasser des voausfahrenden Schubverbandes wird durch die weitere Bugwelle des anderen praktisch unmöglich, d.h. wir treiben ziemlich hilflos auf dem Kanal, ca. 70cm am entgegenkommenden Frachter vorbei.
Nächster Überholversuch:
Der Frachter, der immer noch vor uns ist, fährt konsequent in der Mitte des schmalen Kanals, wir müssen also riskieren, beim Überholen aufzulaufen. Wie gesagt, ein Nachmittagspäuschen in Marienwerden wäre schöner gewesen. Da wir aber nun schon dabei sind, wagen wir einen weiteren Versuch. Was ist es, was plötzlich wenige Meter vor uns auftaucht? Es treibt von rechts nach links. Sieht aus wie ein im Wasser schwebender, dicker Stock. Kurz darauf rumms, wir laufen auf. Rückwärtsgang, wir kommen frei aber es reißt uns schräg quer, wieder fast in die Bordwand des polnischen Schubverbandes. Die Mannschaft drüben rollt mit den Augen. "Stettin" steht auf dem Heck.
Also, dritter Versuch...
Wir sind immer noch von der Idee beseelt, in zwei Tagen nach Stettin zu fahren. Da werden wir uns doch von so einem Frachter nicht aufhalten lassen. Wir werden später auch mal Schubverbände treffen, die langsamer oder zur Seite fahren, wenn man sie überholen will. Aber das ist eher die Ausnahme. Die meisten Berufschiffkapitäne mögen, glaube ich, keine Sportschiffe.
Also, wir geben Vollgas, der Kanal hat sich für ein Stück verbreitert, so kommen wir vorbei, fast bis zum Bug, dann kommt die Verengung wieder in Sicht. Im Schneckentempo schleichen wir Stück um Stück weiter, schon überlegen wir es wieder aufzugeben, doch schließlich ziehen wir knapp am Bug vorbei, was nochmal eine ordentliche Wirbelwelle gibt und gewinnen rasch an Vorsprung, sodass wir weit vorher das Schiffhebewerk Niederfinow erreichen.
Niderfinow: Ein gigantisches, vierzehn Tausend Tonnen schweres Stahlungetüm über dem Oderbruch, das Bauwerk sieht beeindruckend aus, wie in einem düsteren Endzeit-Comic. Wir fahren rein, ohne Wartezeit, es dämmert schon. Die atemberaubende Aussicht und die Fahrt 55m nach unten sind die ersten Highlights unserer Schiffreise.
Wenige Km nach dem Hebewerk erreichen wir gegen halb zehn die Bucht von Liepe, wo wir nach 17 1/2 Stunden unterwegs ziemlich erschöpft ankern.
Der kürzeste Ostsee-Törn: Mit der Pulpo nach Spandau
Unser erster Ostsee-Törn war geplant für Anfang Juli 2020. Bei Wiek auf Rügen hatten wir ein Ferienhaus gemietet, und der Plan war mit Sohn bis Stettin, ab da mit Familie zu viert über Greifswald und Stralsund mit unserer Shipman zu fahren.
Doch der Reise endete an einer Stahlwand, kurz hinter der Freybrücke. Eigentlich noch vor Spandau. Ein idyllisches Fleckchen, zwischen Grminitzsee und Havel, ein perfektes Ausflugsziel, aber wie bitter, so unvermittelt: Dampf aus dem Motorenraum, der Impeller unseres Fairyman-Dieselmotors war zerbröselt, die Wasserpumpe tröpfelte leck, nach einer vegeblichen 24h Repraratur-Aktion und mehreren Ausflügen in den Spandauer Obi-Baumarkt gab ich entnervt auf und ließ mich von netten SVST-Kameraden wieder in den Club zurückschleppen.
Natürlich kamen vorher noch die Kollegen von der Wasserpolizei vorbei, um darauf hinzuweisen, dass es verboten sei, an dieser Wand festzumachen. Ich konnte ihnen jedoch plausibel erklären, dass es mir leider nicht möglich sei, einfach mit dem Boot wegzufahren, was ich natürlich liebend gern getan hätte, am liebsten möglich weit weg :)
Ich gab trotzdem die Hoffnung nicht auf, in diesem Sommer noch loszufahren. Die Reparatur war an sich keine große Sache. Pumpe abschrauben, aufschrauben, Impeller wechseln und fetten, alles wieder zuschrauben und dranschrauben. Dann müsste es eigentlich wieder funktionieren. Hat es aber leider nicht. Zu wenig Erfahrung. Vieleicht hätte jemand aus dem Verein helfen können, ein netter, hilfsbereiter Kamerad. Ein Techniker war nicht zu kriegen in diesem Sommer. Schließlich musste ich die Reise aufgeben. Das Boot lag am Steg und ich fuhr erstmal ins Riesengebirge. Wandern, Abstand bekommen.
Wie hatten die Shipman 28 von Andreas übernommen, der das Boot wiederum von Michael gekauft hatte. Unsere Pulpo hat also schon als SVSt-Boot eine längere Tradition. Leider haben wir (noch) keine Ahnung von Seemannschaft und solchen Dingen. Wir haben zwar schon einige Törns auf Havel und Wannsee unternommen. Aber wie lege ich einen Mast und befestige ihn seemännisch amtlich am Boot? Wie repariere ich die Elektrik, welches Problem führt zur völligen Entladung der Starterbatterie schon nach wenigen Stunden mit Positionsleuchten?
Welche Fender muss ich zum Schleusen benutzen und wie befestige ich das Boot am besten an der Schleusenwand, wenn ich keine Klampe in der Mitte habe? De Klönabend mit den anderen Fahrtenseglern, zum Thema Beichte von peinlichen Fehlern hat gutgetan. Wir waren nicht die einzigen, bei denen etwas schief ging (wohl aber wahrscheinlich die einzigen, die nicht weiter als bis Spandau gekommen sind). In diesem Jahr, 2021, werden wir endlich wieder einen Versuch wagen, die Schulferien beginnen am 24.6., diesmal sollten wir schon eine etwas längere Distanz zurücklegen:)
Ich habe, gerade nach dieser Pleite, welche ich oben geschildert habe, noch mehr Demut gelernt und freue mich umso mehr auf diese neue Saison (welche sicher auch wieder eine neue Probleme bringen wird). Meine Nachbarn und Steg-Kameraden haben sich bestimmt öfter gefragt, wieso unser Boot nicht so wohlgeordnet und gepflegt aussieht wie manch ein anderes? Es lag zum einen an unserer Unwissenheit um "Seemannschaft" und diese Dinge (was für Erfahrenere natürlich eine Selbstverständlichkeit ist), zum anderen ist es mit zwei Kindern (wie auch Zuhause) nicht immer so perfekt gestylt, wie es dem Standard des kritischen Beobachters entspricht.
Deshalb, liebe Kameraden: Es ist keine böse Absicht, nur Unwissenheit - peinlich, wenn man keine Erfahrung und keine Ahnung hat. Bitte nicht ärgern und fremdschämen – wir werden unser bestes tun! Wir wurden schon unheimlich großzügig unterstützt, mit praktischen Tipps, bei der Routenplanung, Empfehlung von Zielen und Häfen. Ich hatte auch schon zweimal das Vergnügen, auf anderen Yachten bei der High Noon mitzusegeln (was ich auch in diesem Jahr definitiv wiederholen werde). Jegliche Hilfe, konkret mit dem Shipman-Boot umzugehen, zu segeln und auch mal mitzufahren, wäre äußerst willkommen und würde auch unsere Seemannschaft um wertvolles und kostbares Wissen erweitern, sodass wir auf der Ostsee erfolgreich meistern.
Wir haben aus der Situation lernen und unsere Sichtweise verändern dürfen, dafür danken wir den offenen und auch kritischen Kommentaren der SVSt-Crew. Mögen wir davon einiges mitnehmen und auf unseren Fahrten befügeln lassen! Bis nach Spandau und noch weiter...
Daniel und die Familie Kisters