Segler-Verein Stössensee e.V.

Segeln auf der Sonnenseite der Havel

Nach der Female Offshore Mediterranean Championchip im April galt es nun ein zweites Abenteuer zu bestehen - diesmal "mixed" und von La Maddalena auf Sardinien nach Genua.

Anfang April hatte ich mit zusammen Helen an der Female Offshore Mediterranean Championchip teilgenommen. Noch nie zuvor waren wir foilende Figaro-3 Racer gesegelt. Nicht nur deswegen fühlte sich jenes Hals-über-Kopf-Unterfangen wie ein großes Abenteuer an.

Nun hatte ich sogar die Einladung für die Teilnahme an der Offshore Europameisterschaft – diesmal doublehanded mixed – für Mitte Mai [geplanter Start am 12.5.] erhalten.

Nun wollte ich mich erneut dieser Herausforderung stellen. Als männlicher Segelpartner mit Erfahrung im Shorthanded-Segeln fiel mir Rüdiger ein. Ich kenne ihn von Regatten auf der „Bank von Bremen“ aber auch von der Kieler Woche, bei der wir auf seinem Dragonfly (Trimaran) 2019 knapp das Treppchen verfehlten. Sonst segelt er viel einhand. Mehrfache erfolgreiche Teilnahmen am legendären „Silverrudder“ oder der Langstreckenregatta „Midsummersail“ bis zur nördlichsten Tonne der Ostsee gehören zu seinem Erfahrungsschatz.

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Er sagte zu!

Ich wollte bei meiner 2. Figaro-3 Regatta auf gar keinen Fall wieder so übermüdet an den Start gehen wie im April. Deswegen reisten Rüdiger und ich bereits vier Tage vor dem Start in La Maddalena an.

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Zwei Tage später durften wir unser Boot (wieder die Nr. 4 mit dem Namen Capo Faro) betreten, aufbauen und trainieren. Die Vorbereitungen wie Latten einziehen, Markierungen setzen, einräumen usw. liefen problemlos und zügig, so dass wir an beiden Tagen vor dem Start Abläufe und Manöver trainieren konnten. Rüdiger ist top durchtrainiert und liebt es, wenn der Adrenalinspiegel höher steigt. Irgendwann bremste ich ihn, schließlich sollten doch noch genug Kraftreserven für das Rennen übrigbleiben.

Für die Eröffnungsfeier wurden alle zehn Teams mit dem Privatauto des Hauptorganisators Riccardo in eine nahe gelegene Granit-Grotte gefahren, die heute ein Museum ist. Von hieraus wurde der weltweit einzigartige Granitstein u.a. für den Bau des Suezkanals abgebaut und abtransportiert. Für uns wurde der Grill angefeuert und Wein gereicht. Eine rundum perfekte Lokation, sich untereinander kennen zu lernen und auszutauschen.

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Der überwiegende Teil der Teams kommt aus dem olympischen Segeln.
Die Belgierin hat der Karriere wegen extra ihrer französischen Nationalität den Rücken gekehrt, kämpft sich gerade in der Figaro-3 Szene hoch, lebt dafür in der französischen Offshorekaderschmiede Lorient und hatte sogar ihren eigenen Coach dabei.
Dann war da noch der ukrainische Offshoresegler, der eigentlich schon lange in den USA lebt und als Segelmacher im Volvo-Ocean-Race-Zirkus schon die ganze Welt gesehen hat. Gerne erzählt er von seinen Abenteuern.
Ich freute mich die Britin wieder zu sehen. Ihr Teampartner ließ mir Grüße von Susann Beucke ausrichten, die er neulich noch in der Bretagne gecoacht hatte. Susann, die deutsche Olympiasilbermedalliengewinnerin im 49er steigt ja gerade mit einer Figaro-3 ins Profi-Offshoresegeln ein. Ihn selber zieht es mittelfristig auf die großen Ultratrimarane – sein Traum ist ein Platz im Profiteam eines französischen Syndikats.

Zugegebenermaßen fallen Rüdiger und ich mit unserer Segelvita etwas aus dem Rahmen, haben aber dennoch das Gefühl anerkannt zu sein. Eine Teilnahme an zwei Transatlantikrennen wie ich (eine im Damenteam, die zweite als Skipperin im Männerteam) hat hier noch keiner vorzuweisen. Natürlich punkten außerdem Fastnet-Race, das Round-Britain-Race, welches Rüdiger im selben Jahr wie ich, aber auf einem Volvo 70-Racer bestritt.

Am Donnerstag, dem 12. Mai 2022 um 11.30 Uhr fiel der Startschuss zur Offshore Europameisterschaft vor La Maddalena und wir waren mittenmang! Na gut, meinen Start segelte ich (leider) etwas verhalten. Die Route führte uns kreuzend durch die Straße von Bonifaccio, weiter entlang der Küste Korsikas, die an Steuerbord bleiben sollte bis vor den Zielhafen von Genua.

Es dauerte einige Zeit, bis wir mit unserem Großtrimm zufrieden waren. Das kostete leider Punkte. Schon bald tauschten wir wie auch die anderen Teams die Jib gegen den Code 0. Aber keine 20 Min später wechselten wir wieder zurück, da uns der Verlust an Höhe zu groß wurde. Die Vorhersage sah ausgesprochen leichten bis gar keinen Wind vor raus. Daher entschieden wir uns dicht unter Land aufzukreuzen, in der Hoffnung hier Thermik zu finden. Am ersten Abend wurden wir auf dem Trakker kurzfristig sogar auf Platz 1 geführt. Die nette Polin machte sogar extra für uns ein Foto davon.

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Uns war klar, dass dieses Schwachwindrennen lang werden würde und so konzentrierte ich mich vor allem auf uns und den möglichst kürzesten Weg ins Ziel.

Der Weg wurde zuweilen wirklich beschwerlich, da es immer wieder Phasen gab, in denen unser Speed mangels Wind auf 0 Knoten runter ging. Irgendwann hatten wir nur noch das letzte Kap an Korsikas Westküste vor uns. Ich suchte immer wieder nach Windfeldern und so segelten wir immerhin fast parallel zur Küste.

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Inzwischen baute sich weiter draußen Südwestwind auf, den wir ab dem letzten Kap dann ansteuern wollten. Zunächst dümpelten wir schier endlos in der Flaute. Als sich ein Hauch von Wind aus SW aufbaute, zog Rüdiger umgehend den großen Gennaker (A2) hoch. Sein kraftvoller Anschlag am Masttop sorgte jedoch dafür, dass sich der Beschlag plötzlich öffnete, das Segel ins Wasser fiel und das Fall oben am Masttop klemmte. So zog mich Rüdiger kurz darauf in den Mast. Ich konnte jedoch aus ¾ Masthöhe, wo mein Fall endete mit dem Bootshaken nichts ausrichten. Rüdiger, der sein gesamtes Klettergeschirr mitgebracht hatte aber schon. Nach kurzer Zeit kam er mit dem Fall wieder an Deck.

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Bis sich der erhoffte Wind aufbaute und der Gennaker (A2) tatsächlich seinen Einsatz fand, dauerte es aber noch bis zum Abend.

Wir konnten die Lichter einiger Konkurrenten ausmachen. Aktuell wurden wir an 7. Position geführt. Das Licht der Briten war grün. Sie segelten offenbar ebenfalls auf Stb.-Bug. parallel zu uns. Plötzlich bemerkte ich aber, dass das grüne Licht immer größer wurde. Schnell griff ich das Fernglas und konnte erkennen, dass sie inzwischen auf Bb-Bug segelten also gehalst haben mussten. Ich luvte an und so passierten die Briten nur wenige Meter vor unserem Bug. Puh! Ihr AIS-Signal erschien bei uns nicht. Sie hatten ihr Gerät offenbar ausgestellt.

Kurz darauf halsten wir ebenfalls. Rüdiger übernahm die nächste Wache, in der der Wind offenbar sehr unstet war und er mehrere Halsen einhand! fuhr.

Die Briten hatten inzwischen einen Abstand von 4 sm zu uns rausgesegelt. Das wollte ich natürlich ändern! Während sie für ihren optimalen Speed bei dem leichten Wind unter Gennacker etwas höher segelten, blieb ich meiner Strategie des kürzesten Weges treu. Solange mein Speed den des VMGs aus der Tabelle übersteigt, würde ich keine Verluste machen, ganz im Gegenteil. Der Autopilot steuerte und ich trimmte konsequent die Segel mit. Über die Fernbedienung konnte ich bei mehr Druck abfallen und bei nachlassendem Druck wieder anluven – Hauptsache, das Schiff kommt nicht aus dem Laufen. Und so hatten wir irgendwann die Briten parallel und zum Nachmittag sogar 4 sm achteraus! Nachts erwischte uns für wenige Stunden eine absolute Flaute. Diese Zeit nutzte ich kurz zum Ausruhen. Des Nachts kreisten immer wieder Delfine um unser Boot. Man konnte sich einbilden als winkten sie mit ihrer Rückenflosse, um uns den Weg zu zeigen. Könnten sie uns doch bloß in Schlepptau nehmen! Sie hatten irgendwie eine beruhigende Ausstrahlung auf mich - das half enorm.

Als die Sonne wie ein roter Feuerball über den Horizont stieg und unseren letzten Tag auf See einläutete, kam ein Hauch von Wind auf. Umgehend trimmte ich und holte wieder alles aus dem Boot raus was ging. Schließlich achteten wir darauf uns zwischen Ziel und Gegner (GBR) zu positionieren, parierten seine Manöver bis GBR plötzlich sein Vorsegel barg. Was war passiert? Er gab auf. Der Spanier, der unter der Küste sein Glück versuchte tat es ihm schließlich gleich. Luigi (der Wettfahrtleiter) fragte in einer WhatsApp wie es mir ginge, er würde erkennen können, dass ich Richtung Ziel steuerte. Ich antwortete, dass es mir gut ginge. Natürlich! Ich segle Richtung Ziel und werde dieses Rennen beenden! Es dauerte noch einige Stunden bis wir schließlich nach drei Tagen glücklich und erschöpft die Ziellinie als 8. gesegeltes Schiff überquerten.

Zurück im Hafen von Genua wurden wir ausgesprochen freundlich von allen Teilnehmern empfangen. Cecilia - die frisch gebackene italienische Europameisterin - kam uns mit einem Schlauchboot entgegen, sie hatte mich schon während des Rennens angefeuert und GOGOGO Melanie! geposted. Die Spanierin (470er Weltmeisterin) nahm uns die Leinen ab, sie selber war vor uns als 7. ins Ziel gekommen. GBR zeigte den Daumen nach oben und gratulierte uns! Sie hätten uns nie aus den Augen gelassen – nun, wir sie auch nicht! Was für ein toller Zusammenhalt in dieser Szene! Luigi und Riccardo überreichten mir eine Erinnerungsgabe. Hier bestätigte ich nochmal meine generelle Einstellung, dass ich ein Rennen, dass ich begonnen habe, stets zu ende segle.  Hierfür erhielt ich von beiden großes Lob. Ich habe das Gefühl, nicht zuletzt auch Deutschland angemessen vertreten zu haben.

Abschließend bleibt von meiner Seite zu sagen, dass ich zu dieser Europameisterschaft mangels Erfahrung in der Figaro-3 Klasse und andererseits hochqualifizierter Konkurrenz ohne große Erwartungen angereist war. Ich hatte mir gewünscht, die Konkurrenz während des Rennens wenigstens noch zu sehen. Dass ich hier aber würde mitspielen können und ich mir sogar ein 34 stündiges Marathon-Match im Dauertrimmodus mit GBR liefern würde, welches ich sogar gewinnen sollte, hat meine Erwartungen mehr als übertroffen. Ich werde dieses Rennen sicher nie vergessen!

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Eure Melanie

 

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