Der Reisebericht:
Wer mag kann die vielen Farben auf den bunten Wettervorschauen ansehen. Rot steht für schlimme See und bei Violett türmen sich die Wellen mindestens 8 Meter hoch und wer an der Pinne auf Dill säße würde nun auf manchem Stück 4°C kalte Ganzkörperduschen im Minutentakt erleben.
Es ist Winterzeit. Unser Versuch vor einer Woche Reykjavik zu verlassen, geschah wohl in dem letzten Wetterfenster um nach Grönland dieses Jahr durchschlüpfen zu können. Die Tiefs mit ihren heftigen Stürmen nisten sich jetzt wöchentlich ein. Die Nächte, in denen wir wegen des Eises sehr langsam fahren müssten, werden zusehends länger. Eine Reisezeit von mehr als einer Woche müssen wir also annehmen. Wer jetzt vor Grönland im eisigen Wasser vom nächtlichen Sturm erwischt wird, hat gute Chancen einen bedeutenden Tod zu sterben. Jeder hier im Hafen riet uns unser Glück nicht herauszufordern. Aber auch die Strecke knapp südlich am Eis vorbei, in zwei bis drei Wochen non stop nach Neufundland und Kanada riet man wegen der hohen Wahrscheinlichkeit des schlimmen Herbstwetters, nicht anzugehen. Wir saßen vor den Wetterdaten, führten Gespräche. Im Nacken wartete Dill voll Proviant, im Nacken stand auch der Druck selbstgegebener Versprechen. Niemand segelt hier mehr gen Westen.
Die Natur hat gesprochen.
Es bliebe der Weg nach Osten. Sollten wir jetzt Dill nach Hause bringen, um irgendwann mit weniger Zeit noch einmal aufzubrechen?
Warum? Und wie unbefriedigend.
Da kam eine Option: Dill könnte hier über den Winter bleiben! Fast alles in Island ist teuer, außer Strom, Wasser und dieser trockene Platz im Winterhafen. Der Preis schlägt alles in und um Berlin, alles in Schottland, Norwegen oder sonst wo am Festland. Es wird nicht kälter als -5°C in Reykjavik, die Erde könnte jedoch ein wenig wackeln, und Stürme könnten Dill schütteln. Ein Cradle, also ein Bootsstand oder Lagerbock müsste hergestellt werden, denn sie haben keinen über. Es gibt hier rund dreißig Segelboote auf Island, das größte ist eine Bavaria 50. Der Eigner und Vercharterer von dieser und einer weiteren Bavaria hat mich zum Winterhafen mitgenommen und mich dort bekannt gemacht. Für Staunende: Ja, man kann hier chartern! Eben zwei Bavarias.
Diese Option, der ich froh zusagte, eröffnet mehrere Möglichkeiten, wenn alles gut geht. Zum einen gehe ich nicht unnötig weitere Risiken ein und darf mich erholen.
Zum anderen liegt nächstes Jahr Grönland vor der Haustür und das nicht nur für ein paar Tage. Und vielleicht nicht nur für Anatol und mich. Spannender kann man den Winter gar nicht verbringen, als sich vorzustellen, dass Grönland im neuen Sommer zu entdecken sei! Nach den unglaublichen Polarlichtern, nach den nordischen Färöer Inseln, die uns begeistert haben und nach dem rauen und schönen Island, scheint mir das eine solche Aussicht, einmaliger als New York. Das muss eben wieder warten - aber es wird nicht aufgegeben!
Was Anatol und mich angeht, ist die Geschichte gut ausgegangen. Vieles ist intim und gehört nicht in diesen Bericht. Wir teilten 7 Wochen Seefahrt auf engstem Raum. Vater und Sohn haben sich ausgemessen bis in schmerzhaft unentdeckte Winkel. Wir hätten diese nie erkundet an sonnigen Orten mit mildem Klima und Platz zum Weglaufen. Wir waren mutig in der See und haben ganz andere Inseln für uns entdeckt, die nicht auf der Seekarte stehen. Dies war das Ziel, das New York hieß. Dies, so finden wir, haben wir erreicht.
Zeit zu scheiden. Zeit Abschied von einander als Vater und Kind zu nehmen. Anatol ist jetzt erwachsen.
So feierten wir seinen 18. Geburtstag an Bord vorgestern vor. Er öffnete die Geschenke, für die wir uns herzlich bedanken. Von Paul und Ulrike einen Kompass, von Lührs ein Champagner, zwei Zigarren, eine Seekarte mit einem kleinen Schnaps von Böhms. Dann packte er und in seinem Gepäck war noch ein Geschenk. Es ist diese einmalige Reise von mir und von Melli.
Gestern standen wir am Flughafen. Anatol mit Seesack. Noch einmal nach Berlin und danach wie geplant nach Kanada. Er stand vor mir und ich war sehr stolz auf ihn. Ein junger Mann. Wie fest und lange wir uns umarmten war nicht zu messen. Wie stolz wir waren uns gerade anzusehen und Abschied zu nehmen, kann nicht ausgedrückt werden. Diese Reise hat ein wichtiges und gutes Ende genommen. Sie ist ein Start für andere Reisen, besonders seine und niemand kann ihm dazu mehr Glück, Mut und Entschlossenheit wünschen als ich.
DILL Sicher im Hafen von Reykjavik (Island)